Arbor felix! – Auf glückliche Bäume!
Ein verschwundener Wolkenkapitän sorgt für Aufregung im Zauberwald. Wer kann ihn entdecken? Wer kann ihn befreien? Und was hat ein Eschenpfeil damit zu tun?
Zwerge, Elfen und Zauberkünstler sind alle auf den Beinen, um mit vereinten Kräften zu helfen.
Eine magische Geschichte über die Bedeutung und das Wirken von Bäumen.
Marianne Grimm-Häni
Vorwort
Liebe grosse und kleine Kinder
Im Wald gibt es viel zu entdecken und es liegen viele Geschichten darin verborgen. Ich liebe es, mit Kamera und Feldstecher durch die Natur zu streifen, und staune immer wieder, was sich damit beobachten und zur Erinnerung festhalten lässt. Auf diese Weise kamen die Figuren in dieser Geschichte zu mir. Ich weiss noch gut, wie ich ungläubig auf das Bild blickte und zuerst Betula und nur Sekunden später Fagus entdeckte. Besonders Fagus, der Buch(!)enzwerg, ist anschliessend immer wieder durch meine Gedankengänge gewandelt, bis ich zum Bleistift griff, um aufzuschreiben, was den Wurzelmächten in der heutigen Zeit dienen könnte.
Die Zwerge, Elfen, Dryaden (Baumfeen) und Zauberwesen auf den folgenden Seiten tragen alle die lateinischen Namen der Bäume und verkörpern deren Eigenschaften, die ich sorgfältig recherchiert habe.
Mein Wunsch ist es, dass du beim nächsten Waldspaziergang nicht einfach nur Bäume siehst, sondern dir bewusst bist, dass es sich um liebende Wesen handelt, die mit uns in der Schöpfung stehen und uns selbstlos so viel schenken – nicht nur die frische Luft zum Atmen. Umarme einen Baum, verbringe Zeit mit ihm und staune, was er dir erzählt.
In grosser Dankbarkeit
Marianne Grimm
Die Entdeckung
An einem Morgen im Januar unternahm ich einen traumhaften Winterspaziergang durch einen Märchenwald. Die Luft war kalt, aber trocken. Die Bäume waren von frostigem Reif gezeichnet, Eiszapfen tropften von den Felswänden. Es war still, nur der breite Fluss rauschte leise unter der Eisdecke. Im Schatten schimmerte der Schnee bläulich. Wo die Sonne ihre Strahlen hinschickte, war der Waldboden nass und mit braunem Laub vom letzten Herbst bedeckt. Der Wind bewegte sanft die Äste und wirbelte leise in den dürren Blättern. Die Landschaft wirkte verzaubert. Es war, als wandelte ich auf meinem Weg in einer anderen Welt.
Ich knipste Bilder, um einige Momente festzuhalten, und ahnte nicht, wer alles vor der Linse posierte. Wildes Wurzelwerk und ausgewaschene Steine – dachte ich; als ich genauer hinschaute – staunte ich. Die Anderswelt ist nicht verschlossen, vor allem dann nicht, wenn man sie auf Fotos in aller Ruhe betrachten kann.
Am meisten überraschte mich die lächelnde Dame im Vordergrund einer Aufnahme. Ob sie bereits wusste, dass ich sie entdecken würde?
Wer war diese vornehme Gestalt und warum trat sie in Erscheinung? Ich beschloss, sie zu fragen …
Reise in die Anderswelt
Ich machte mich bereit für eine Reise in die Anderswelt, denn wo sollte ich diese Dame sonst suchen? Für magische Ausflüge braucht es Stille und Einsamkeit, dafür benötigt man kein Gepäck, muss einfach nur die Augen schliessen. Doch sollte man unbedingt vorher die Ein- und Ausreisebestimmungen lesen, damit man wieder gesund und munter heimkommt. Es soll schon Menschen gegeben haben, die bei den Elfen bleiben mussten und erst viele Jahre später wieder ins Leben zurückkehrten …
In meinem Regal stehen viele Bücher über Zauber- und Hexenkunst, Kräuterwissen und Heilmittel. Da ich alle gewissenhaft studiert habe, konnte ich das Risiko auf mich nehmen, diese Reise zu wagen.
Um in das Reich der Feen zu gelangen, muss man einen der Eingänge finden, doch sind diese immer gut bewacht.
Quercus
Als Erstes treffe ich unter der Eiche Quercus. Er ist Wächter und hütet den Eingang zum Märchenwald. Hat er wohl gerade geschlafen, als ich auf meiner Kamera den Auslöser drückte? „Bestimmt nicht! Ich habe meine Augen immer offen.“ Quercus erzählt mir, wie dünn der Schleier zwischen Menschenwelt und Feenreich geworden ist. An manchen Plätzen öffnen sich die Tore in die Zauberwelt wie von selbst. Leider gibt es viele Menschen, die rücksichtslos durch den Wald trampeln und nicht bemerken, wie sie Feenplätze ramponieren, Zwergenbehausungen zerstören und Elfen erschrecken.
Ich war an jenem Morgen ganz alleine unterwegs, und da ich still in Gedanken versunken war, hatte mich Quercus nicht bemerkt. Was für ein grosses Glück!
Quercus trägt keine Waffen, sondern nur einen starken Schild, den er einem unbefugten Eindringling vor die Nase halten kann, damit dieser die Eingänge nicht findet. Mit seinem edlen, violetten Gewand und dem Napoleon-Hut sieht er auch gar nicht gefährlich aus.
Quercus fragt mich, weshalb ich Zutritt in die Anderswelt wünsche, und ich erzähle ihm von meiner aussergewöhnlichen Entdeckung und dass ich diese rätselhafte Dame gerne kennenlernen möchte. Quercus schaut ganz verdutzt auf meine Fotografie und ist erstaunt, wie gut er selbst auf dem Bild zu erkennen ist. Da sei mir wahrlich ein richtiger „Schnappschuss“ gelungen, seufzt er leise.
Lange Zeit war die Anderswelt in Vergessenheit geraten. Niemand glaubte mehr an Zwerge und Elfen. Sie konnten den Menschen buchstäblich auf der Nase herumtanzen, ohne entdeckt zu werden. Diese mussten höchstens niesen oder sich kratzen, aber auf die Idee, dass ein Wesen aus der Anderswelt sich einen Spass mit ihnen erlaubte, kamen sie nie. Nur die ganz kleinen Menschen bemerkten es, jedoch nur solange sie nicht sprechen konnten. Quercus vermutet, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Menschen die verzauberten Grenzen überschreiten. Sein Schild wird ihm dann wenig Schutz bieten, er vertraute bisher vor allem auf seine Unsichtbarkeit.
Die Menschen sind schrecklich neugierig, müssen alles anfassen, untersuchen und erklären können. Damit trennen sie alle zarten Verbindungen, die eine Elfe zu knüpfen vermag. Quercus befürchtet, dass es bald mit der Ruhe vorbei ist und die kleinen Leute wie die Waldtiere sofort fliehen, wenn so ein Zweibeiner daherkommt.
Ob Quercus mich trotzdem weiterziehen lässt? Ich überlege, wie er zu überzeugen wäre, da fällt mir ein, dass ich ja eine Geschichte für die Kinder schreiben will. Geschichten werden erzählt oder gelesen und so könnte ich als Botschafterin für die Lebewesen im Zauberwald tätig sein. Das würde mir gefallen. Ich mache Quercus diesen Vorschlag. Er schaut mich lange und nachdenklich an, schliesslich willigt er ein. Bevor er mich passieren lässt, muss ich ihm versichern, dass ich die Gesetze der Wahrheit in meiner Geschichte beherzige. Ich weiss, dass unter Eichen gegebene Versprechen für die Ewigkeit gelten, trotzdem leiste ich diesen Schwur gerne.
Zudem wünscht Quercus, dass ich mich von Fagus begleiten lasse. Fagus ist ein Buchen-Zwerg, der sich nicht nur sehr gut im Wald auskennt, sondern auch das Lesen und Schreiben beherrscht. Ein perfekter Reiseleiter!
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